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die drei preise der fachjury

Wir verleihen den ersten Jurypreis des 33. Westwind-Festivals 2017 in Höhe von 3.333 Euro an das AGORA-Theater aus Sankt Vith in Koproduktion mit den Dürener Kulturbetrieben und dem TAK- Theater Lichtenstein für die Produktion "Die Geschichte eines langen Tages" in der Regie von Ania Michaelis mit den Darstellern Line Lerho, Leila Putcuyps und Sascha Bauer.

Die Jury lobt die ebenso unaufdringliche wie phantasievolle Art und Weise, wie hier eine Geschichte von Fremdheit, Anderssein und Zugehörigkeit erzählt wird. In einer mit viel Liebe zum Detail ausgestatteten Raumbühne, die per se eine Atmosphäre des Miteinander kreiert, spielen Tanz, Sprache, Musik, Zauberei aufs Wundersamste ineinander. So entwickelt sich auf engstem Raum eine Geschichte von Weite und Offenheit. Während Gleichheit hier im wahrsten Sinne des Wortes vermessen wird, zeigt sich das Andersartige von seiner spielerischen, anarchischen und verletzbaren Seite. Plug, die kleine Person mit dem großen Hunger, ist ebenso überzeugend in ihrer Direktheit wie in ihrer Bedürftigkeit und ihrem Staunen. Doch auch die durch jahrelang erprobte Rituale, bis ins Kleinste austarierte und aufeinander abgestimmte Welt, in der "alles immer, wie gestern" ist - sie erscheint hier nicht dumpf oder bloß bedrohlich und längst überholt.

Die Aufmerksamkeit und Sensibilität der Inszenierung machen auch vor denjenigen nicht Halt, die zunächst ihre Türen verschließen. Avi und Iva sind nicht die Spur weniger liebenswert als Plug. Auch ihre Welt hat Witz, Wärme und Wert. Auch in ihr wird geliebt und getanzt. Sie mag durch die Ankunft von Plug zwar erschüttert werden, aber sie wird nicht aufgelöst. Ebenso wenig wie es ein Ausgrenzen braucht, um miteinander zu sein, ist dafür totale Verschmelzung vonnöten. Selbst jeden Eindruck von Anstrengung vermeidend, unterschlägt die Inszenierung dennoch nicht die Anstrengungen, die es braucht, Grenzen niederzureißen und das Fremde in die eigene Lebenswelt einzuladen. Gemeinschaft bekommen auch Kinder hier nicht geschenkt. Einer muss den ersten Schritt tun, und sei er noch so klein. Denn schließlich ist, wie Plug es sagt, "alles so schön hier." Die gute alte Zeit, die sich noch vermessen ließ, in der wir uns im Bequemen, Selbstgewissen und scheinbar Gesicherten eingerichtet haben, sie ist vorbei. Der neue Tag ist gerade erst angebrochen. Und der wird - das zeigt uns und vor allem bereits den kleinen Kindern das Agora-Theater - lang werden. Wenn die Aufführung endet, hat die Geschichte, die erzählt wurde, gerade erst begonnen. Und es ist auch unsere Geschichte.

 


Wir verleihen den zweiten Jurypreis des 33. Westwindfestivals 2017 in der Höhe von 3.333 Euro an "All about Nothing" von pulk fiktion, Köln in Koproduktion mit dem FFT Düsseldorf, dem Theater Bonn und mit dem Freien Werkstatt Theater Köln in der Regie von Hannah Biedermann mit den Performer/innen Norman Grotegut, Elisabeth Hofmann, Manuela Neudegger und Sebastian Schlemminger.

Ausgehend von O-Tönen und Recherchen von Kindern und Jugendlichen schafft das Ensemble auf verschiedenen formalen und inhaltlichen Ebenen einen unmittelbaren Zugang zu einem aktuellen und wichtigen Thema, über das man lieber nicht spricht. Mit durchdachten und klug eingesetzten Mitteln von Sprache, Tanz, Songs, Zeichnungen, Projektionen und Musik, in poetischen und assoziativen Bildern sowie einer Leichtigkeit und einer Prise Humor erreichen die Performer/innen auf einer biografischen und persönlichen Ebene das junge Publikum und sprechen gleichsam Erwachsene an, auch was die Ästhetik von Raum und Bühne anbelangt. Pulk fiktion widmet sich den Wünschen, Sehnsüchten und Träumen der jungen Generation im Rücklauf vom jungen Erwachsenen bis zum Baby und konfrontiert diese einer realen Konsumwelt und kapitalistisch geprägten Gesellschaft und lässt uns mit den unerfüllten Wünschen nicht allein, sondern gibt den Zuschauenden hoffnungsvolle Überlebensstrategien mit. "Nur wer am Abgrund steht, dem wachsen Flügel. Wer um sein Leben rennt, bleibt fit. Wer wirklich will, kann was werden." Und: "Ich glaube an mich."

 


Wir verleihen den 3. Jury-Preis des 33. Westwind-Festivals 2017 in Höhe von 3.333 Euro an: "Our House" von Helios Theater Hamm in Koproduktion mit dem Ishyo Arts Center Kigali/Ruanda Regie: Carole Karemera und Barbara Kölling. Mit den DarstellerInnen Eliane Umuhire, Helena Aljona Kühn, Hervé Kimenyi, Michael Lurse, Marko Werne und dem Musiker Hervé Twahirwa Komposition: Roman D. Metzner und Hervé Twahirwa Assistenz und Texte: Steffen Mohr.

Wie über das Unsagbare, das Schmerzhafte sprechen? Das Team von "Our House" setzt die Metapher des Hauses an den Anfang und ins Zentrum aller Geschichten. Das ist so simpel wie bestechend. So wie die Handgriffe der Darsteller*nnen aus Ruanda und Deutschland beim Häuserbau auf der Bühne ineinander gehen, sich ergänzen und in ihrer Konsequenz immer wieder neu verhandelt werden, so geschieht es auch mit ihren Geschichten und Erinnerungen. Die Spieler*innen erzählen von Häusern aus Ruanda, Burundi, Kasachstan und Deutschland. Die Geschichten dieser Häuser und ihrer Bewohner*innen sind gleichzeitig immer auch erlebte Geschichte. Der Aufbau des Stückes gleicht einer Spielanordnung, die ihre Regeln stetig verschiebt und immer wieder lustvoll in Frage stellt. Ist das meine Geschichte oder Deine? Wie verändert sich Erinnerung, in dem Moment, in dem ich sie teile und mein Gegenüber mit eigenen Erinnerungen und Assoziationen anknüpfen lasse? Die Inszenierung überzeugt durch ihre formale Konsequenz, ihren Bilderreichtum und nicht zuletzt durch ihre Spieler*innen, die das Wagnis eingehen, etwas von sich mitzuteilen und sich damit einander und ihrem Publikum öffnen - und das ganz ohne Betroffenheitspathos oder moralischen Zeigefinger. Damit wird Raum geschaffen für Austausch und Begegnung. Eine Gesellschaft, die sich nicht verschließen will, die Gegensätze und Veränderungen als Chancen begreifen will, braucht Projekte wie dieses.


Die Preisgelder wurden gestiftet vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen.